Hier eine kleine Kostprobe der "Musique Maure", mit deren Transkription ich mich schon seit einiger Zeit beschäftige. Wir hören die Sängerin Malouma mint Meidah mit ihrem Bruder Lemrabot und der Musikerin Lalah.
05.10.2013
Wie immer, wenn ich mit Djiby unterwegs bin, fällt es mir schwer, meine regelmäßigen Blogeinträge durchzuhalten. Das Zusammenleben mit Afrikanern gefällt mir ungemein, es lässt aber vergleichsweise wenig Zeit für das, was wir Europäer als Privatleben bezeichnen. So gut wie alle Aktivitäten im Zusammenleben werden gemeinsam durchgeführt, man ist auch nicht so oft für sich, wie man es gewohnt ist. Ich brauche immer mehrere Tage, bis ich (zum x-ten Mal) bemerke, dass eigentlich ich selbst es bin, der sich (zum Beispiel) am Schreiben hindert. Dann wird es leichter und ich mache das, was meine afrikanischen Freunde auch tun, nämlich sich nicht stören zu lassen von der Anwesenheit anderer und einfach das machen, was gerade anliegt. Ich beobachte also bei mir selbst immer wieder eine Kulturverwirrung, und das, obwohl ich zum Beispiel mit Djiby ja gut befreundet bin und - wie man hier feststellt - mich bemühe, über kulturelle Unterschiede nachzudenken. In Indien ist der Drang zum Zusammensein noch viel stärker als in Afrika; allein zu sein ist dort fast eine Schande, auf jeden Fall ein bedauernswerter Zustand. Ein jeder Inder aber hat die Fähigkeit, seine eigene Privatsphäre um sich herum aufzubauen und kann selbst in einer Menschenmenge im Handumdrehen vollkommen in sich selbst versinken und sich gleichsam an einen persönlichen Ort zurückziehen, an dem er seinen Überlegungen nachgeht. Auch das ist etwas, das ich mir bei Aufenthalten in Indien mühselig angeeignet habe und jedesmal neu erarbeiten muss, wenn ich nach längerer Abwesenheit dorthin zurückkehre. In Afrika beobachte ich dagegen des öfteren, dass Afrikaner, die allein sind, in einen Wartezustand verfallen, in dem sie notfalls tagelang verharren können, ein Verhalten, das der große Afrikakenner Richard Kapuczinsky in seinen Büchern treffend schildert. Sicherlich ist dieses Verhalten der afrikanischen Realität geschuldet, in der es überlebensnotwendig ist, möglichst energiesparend und relativ bewegungslos zu verharren, indem man zum Beispiel - wie man immer wieder beobachten kann - klaglos in größter Hitze auf das zu keiner bestimmten Zeit ankommende Transportmittel wartet, oder eine Dürreperiode übersteht. Jetzt habe ich mich daran gewöhnt, dass ich - zum Beispiel - dies hier gerade schreibe, und ab und zu Djiby hereinkommt, mich etwas fragt oder einfach nur sich hinsetzt und seine Facebook - Seite pflegt, während ich weiterschreibe. In Deutschland würde ich mich verpflichtet fühlen, meine Arbeit zur Seite zu legen, um mich mit dem "Gast" zu beschäftigen, hier ist das nicht nötig und wird nicht als unangenehm empfunden, im Gegenteil. Dies ist ein Aspekt der afrikanischen Gesellschaft, den ich - nach der Eingewöhnungszeit - als angenehm empfinde und den ich als "zivil" bezeichnen möchte. Ein weiteres Beispiel: Durch die orale Kultur fast aller afrikanischen Gesellschaften bedingt, gibt es in vielen Städten und Dörfern Afrikas kaum Straßenschilder. Wenn man also eine Adresse oder überhaupt irgend etwas finden möchte, muss man jemanden fragen, und zwar ständig und unentwegt. Da dies aber jedermann tun muss, unabhängig von Stand oder Besitz, hat sich - zumindest in meinen Augen - eben diese "Zivilität" entwickelt, die es möglich und alltäglich macht, ständig sich anderen gegenüber in eine "Schuld" zu setzen, die als selbstverständlich empfangen und zurückgegeben wird. Natürlich bleiben die enormen materiellen und rechtlichen Unterschiede und Ungerechtigkeiten innerhalb der afrikanischen Gesellschaft bestehen, welche Ursache vieler Probleme in diesem Kontinent sind und sich auf zum Teil grausame Weise zeigen. Und doch empfinde ich es als wunderbar, dass ich auf jeden zugehen kann, ihn ansprechen kann und ganz selbstverständlich mich auf seine Hilfe verlassen kann. Das, leider, ist in meiner Heimat längst nicht alltäglich! Dies habe ich schon des öfteren erlebt, wenn ich beseelt aus Afrika oder Indonesien kam und voll der Erleuchtung mich eines ähnlichen Verhaltens befleißigte. "Wat will der Idiot" war noch eine der harmloseren Reaktionen darauf und hat mich dann schnell wieder auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ich liebe meine Heimat, wohlgemerkt, bin stolz auf die sozialen Errungenschaften, die wir uns erkämpft haben und lasse das im Ausland bei jeder passenden Gelegenheit auch durchklingen. Aber in Punkto zwischenmenschlicher Beziehungen, Freunde, da können wir noch von den Afrikanern und anderen Drittweltbewohnern lernen!
Das GMO mit dem BuJazzO und dem mauretanischen Sänger Cheickh Lehbiadh im Mai 2013 in Dakar
21.02.2013
Fernsehen in Afrika
Eine der angenehmeren Seiten des Reisens ist der - jedenfalls für mich - gänzlich andere Umgang mit dem Fernsehen: ich selbst mache es so gut wie nie in Hotelzimmern oder Privatunterkünften an. Deutsche Gastgeber im Ausland haben nach meiner Erfahrung auch nicht wirklich Freude an fremdsprachigem Fernsehen; selbst wenn man die Sprache des jeweiligen Senders gut beherrscht, gelingt es dem Zuschauer doch nicht, sich wirklich für die Figuren und den soziokulturellen Hintergrund des Geschehens zu interessieren. Man schaut, wenn's geht, das Fußballspiel der Mannschaft, die einen interessiert; vielleicht mal die Nachrichten, obwohl das Internet auch in Afrika diese besser abbildet.
Bei den Afrikanern dagegen gehört es zum guten Ton, den Fernseher einzuschalten wenn Gäste kommen, vorausgesetzt er läuft nicht schon, wie er das für gewöhnlich den lieben langen Tag tut. Meistens dudelt irgendwas bei schlechtem Bild, die Kinder hängen natürlich davor; in Restaurants essen die Gäste mit den Augen auf den Bildschirm geheftet.
Für den vom öffentlich - rechtlichen Rundfunk verwöhnten (keine Angst, ich werde es mir zur Pflicht machen, in einem späteren Artikel dieses Wort und meine desungeachtet
keineswegs milde Haltung zu erklären) Deutschen ist es einfach unfassbar, was in bonbonfarbenen Lichtschwaden in afrikanische Behausungen quillt. Zwei junge Frauen habe ich gesehen, in einer noch leeren Gaststätte,vor einer aus dem Fernseher platzenden afrikanischen Musiksendung voller US-Pop-Abklatschen aus Westafrika; Talent verschwendet, Musik zerrissen, Traditionen verbraten, Neue Sklaven des Kapitals und der Mohrrübe, die dieses den afrikanischen Künstlern vor die Nase hängt und der jene getreulich hinterher laufen; nicht dass es bei uns anders wäre. Beide Damen konnten alles auswendig, sangen mit, träumten von dieser Existenz als Sternchen, nicht anders als die Mädchen hier. Und doch berührt es mich noch anders als hier, hier bin ich mir meiner Kultur sicherer, kritisiere ich mit dem Bewusstsein, dass meine Kritik für sich schon der Motor der Veränderung ist, was sonst! Aber dort... Nicht umsonst klagen meine Musikerfreunde in Dakar, dass sich nichts entwickelt, dass ihre eigene Kultur in dieser Stadt, dem Einfallstor des Westens, sich dem Diktat des Tourismus und dem fremdbestimmten Massengeschmack unterwirft.
Billigserien, die an kaum einem anderen Ort als Afrika ihre Viertverwertung erfahren könnten, sprengen alle Grenzen der Vorstellungskraft was Schauspiel, Thema, Durchführung, Licht und Musik angeht; die Botschaft dieser Machwerke ist so hundsgemein, glanzpoliert und darauf angelegt, unterprivilegierte Menschen zu sinnlosen Wünschen zu animieren, daß man im Vergleich dazu das Dschungelcamp getrost als Rentenwohnheim für behinderte Familienmitglieder betrachten kann, die auch mal ihren Spaß haben wollen. Hoffentlich hält die Kraft der oralen Kultur die Afrikaner davon ab, noch mehr und weiterhin den Vorreitern der Plastikkultur zu verfallen! In der Wüste habe ich Reihen von brandneuen Solarkollektoren gesehen, das Beduinenzelt gleich nebenan präsentierte stolz eine Satellitenantenne. Ja, Bildung ist das Wichtigste, steht auch im Vertrag der Öffentlich - Rechtlichen , aber ich habe meine Zweifel, ob die vielleicht im Programm versteckten Bildungsleckerli das Durchschnittspublikum erreicht, in Deutschland jedenfalls nicht. Obwohl, man findet Pflänzchen in der kleinsten Lücke: Ramesh Shotham und ich waren in Dakar bei der Schwiegermutter eines Freundes eingeladen und zwar extra deshalb, damit diese sich mit Ramesh in Hindi unterhalten konnte, was sie durch endloses Anschauen von untertitelten Bollywoodschinken gelernt hatte; siehste, sagt Sat.1, hab ich doch immer gesagt, sagt RTL.
20.02.2013
Fünfzehn Mal am Tag - Afrikanisches Immunsystem -
Saint-Louis Blooze
Seit vier Tagen bin ich wieder in Deutschland und nur die in Afrika erworbene Widerstandskraft schützt mich gegen die akute Grippewelle(sagen die Afrikaner, die ich angerufen habe). Alle, aber auch alle liegen darnieder, inklusive meiner Frau Sabine. Ich wasche mir fünfzehn Mal am Tag die Hände und hoffe auf das Beste.
Wie immer komme ich aus Afrika mit viel Energie zurück; ich stehe einfach auf Kommunikation, je direkter desto besser, und die schon mehrfach beschriebene orale Kultur der Afrikaner ist, wenn man sie in Europa richtig anwendet, erstaunlich effektiv, ganz abgesehen davon, dass sie schnell ist und Spaß macht. Ich habe mir vorgenommen, diese Seite der Kommunikation zu stärken, selbstverständlich ohne auf diesen Blog oder Emails zu verzichten.
Dominik Seidler vom Deutschen Musikrat führt einen heldenhaften Kampf um die Bezuschussung der Afrika-Tournee mit den entsprechenden Stellen. Dabei stoßen wir überall, beim Goethe-Institut und beim Auswärtigen Amt auf Wohlwollen und Verständnis, aber der Teufel steckt wie so oft im Detail. Afrikanische Wirklichkeit in Excel-Tabellen abzubilden ist eben eine besondere Kunst, aber ich bin sicher, das wird uns auch noch gelingen. Täglich maile und telefoniere ich mit Afrika, besonders mit Prof. Jeismann vom Goethe-Institut und unserem Tourmanager Balde, der sich immer mehr als Glücksgriff entpuppt und alles, was geht, möglich macht. Ich denke, wir sind ganz gut aufgestellt, und das läßt mich trotz der sicherlich zu erwartenden Probleme und Änderungen vor Ort ruhig schlafen. Eigentlich unglaublich, was wir in den drei Wochen in Afrika erreicht haben, im Nachhinein war das ganz schön gewagt, was wir uns so vorgenommen haben. Aber wenn das jetzt klappt, dann wird es etwas ganz Besonderes! Inzwischen habe ich eine ungefähre Idee von Darstellung und Klang der Musik, die wir aufführen werden, und das Gute dabei ist, es ist ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe! Gestern habe ich meinen Freund, den großen afrikanischen Schlagzeuger Mokthar Samba angerufen und ihn gefragt, wo ich denn Gnawa-Musik erleben könnte. Dazu ist zu sagen, dass die Gnawa seit Jahrhunderten sich zwischen Guinea (daher Gnawa) und Marroko hin-und herbewegen und ich, als ich sie zum ersten Mal gehört habe, sogleich dachte: Hier ist ein Ursprung des Jazz, 12er und 6er Rhythmen, die zweifellos in den Swing geführt haben. Gnawa spielen oft mit den doppelten Löffeln aus Metall, und wer das kennt, weiß, wovon ich schreibe. Diese Transformation der Sechs in die Vier ist wirklich ein großes Geheimnis, und ich möchte das in der Musik unserer Afrikareise darstellen.
Na, Mokthar sagte gleich: Essaouira, die etwas nördlich von Agadir gelegene Stadt am Meer in Marokko, da sind viele und auch die besten Gnawa, er kennt natürlich einige. Um die Musik für den Mai zu schreiben - ich muss doch viel mehr selbst komponieren, als ich ursprünglich dachte - hatte ich mir überlegt, einige Tage an der Schnittstelle zwischen Schwarz und Weiß in Klausur zu gehen und abends Gnawa-Musik zu hören. Nun wird es halt Essaouira und die Tickets habe ich schon. Gerade läuft die Freundes-Maschine an und ich hoffe, die richtigen Telefonnummern und Adressen in Essaouira zu bekommen, sonst fahre ich eben so hin.
Am Wochenende habe ich zum ersten Mal "Saint-Louis Blooze", Djiby Diabates und meine erste CD in den Händen gehabt, die wir am 19. März mit einem Konzert im Stadtgarten vorstellen werden. Mir gefällt sie wirklich gut - was keinesfalls den Normalfall darstellt, Musiker wissen, wovon ich spreche! - und die erste Reaktion eines geschätzten Kollegen war: "Tolles Zusammenspiel, sehr schöne Platte!" Na, das macht Mut, und ich hoffe, auch Euch gefällt diese Musik und ihr kommt vielleicht sogar zum Konzert!
13.02.2013
Abschied von Westafrika und Mein Bett
Wie immer, so erlebe ich auch diesmal den Abschied von Westafrika mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite bin ich nach dieser Reise so müde wie selten zuvor und freue mich auf mein eigenes Bett. Mein Bett! Auf der anderen Seite wird mir die Unmittelbarkeit und Fröhlichkeit der Westafrikaner im täglichen Leben fehlen. Wie immer ist es die Brüderlichkeit, die wichtigste(?) der drei Errungenschaften der französischen Revolution, die ich in Europa vermissen werde. Immer dort, wo Freiheit und Gleichheit unter Druck sind - und das ist eben in Westafrika leider der Fall - blüht das brüderliche Verhalten auf, dessen Abwesenheit in Europa man bei jedem Versuch, die Straße zu überqueren, beobachten kann. Bei all meinem - wie ich finde berechtigten - Stolz auf die Errungenschaften meiner Heimat - so zum Beispiel das soziale Netz, relative geringe Korruption, die Schulpflicht, die auch durchgesetzt wird - beklage ich dennoch die soziale Kälte, das überbordende Ego und das verbissene Beharren auf sein Gutes Recht, wie wenig schlüssig dieses auch sein mag. Die orale Kultur in Afrika bedingt Kommunikation; wenn es keine Stadtpläne gibt, muss man fragen; wenn keine Öffnungszeiten angegeben werden, muss man fragen. Dieses Bewusstsein, nämlich dass man auf andere angewiesen ist, dass man ohne den anderen nicht weiterkommt, ist naturgemäß in Afrika viel stärker als im ichbetonten Abendland. Dadurch ergibt sich in meinen Augen eine angenehme Zivilität, die eigentlich nur den Augen und Herzen eines Toubab(Weißen) verborgen bleibt, der von Armut und Schmutz abgelenkt eben glaubt, dass Zivilisation und - sagen wir - Mercedes ein und dasselbe sind! Ich will keinesfalls all die Missstände, die ich in Afrika sehe und fühle, verschleiern, sondern möchte nur feststellen, dass wir Europäer auch von Afrika und seinen Bewohnern lernen können, so seltsam und geradezu widersinnig es auch einem Europäer erscheinen mag, der Afrika nur aus der Presse kennt, die natürlich mit Berichten über mit Kalaschnikoff bewaffnete Kinder (die es ja auch leider gibt!) mehr Aufmerksamkeit erregt - sprich Geld verdient - als mit Berichten über das zivile Verhalten von Menschen, die ja noch nicht mal ein Wasserklosett besitzen!
Genug davon, gestern gab es die gute Nachricht, dass das Festival von Saint-Louis das BujazzO endlich offiziell einladen wird. Dadurch steht unser Tourplan, der zwar sicherlich noch da und dort verändert werden wird, aber auf den wir uns jetzt stützen können. Es wird ein Fest der Kulturen werden, da bin ich mir sicher. Alle meine Partner in Afrika wissen um die Bedeutung unserer Aktion, sie erklären mir, wie wichtig so ein Austausch für sie selbst ist, und ich selber bin gespannt wie ein Flitzebogen, was sich noch über das hinaus, was ich sowieso erwarte, ergeben wird! Wer nicht dabei ist, ist selber Schuld! Für ein paar Tage werde ich den Blog aussetzen, aber bitte, bleibt dabei und checkt mal ab und zu, wenn ich mich erholt habe, werde ich weiter berichten. A bientot!
P.S. Im Anhang noch eine Hymne auf.... Mein Bett!
11 - Mein Bett
Gut, dass es mir gehört! Meine Zuflucht, meine Burg, meine Heimat, meine Geborgenheit, meine einzige ungebrochene Verbindung zur Kindheit, meine Höhle und mein Schloss, und all dies einzig mir! Wie bequem oder luxuriös der Mensch auch reist, nichts vergleicht sich in der Entspannung mit dem erleichterten Sinken in die eigene Schlafstelle, den eigenen Geruch, die eigene, einzigartige und einzig völlig akzeptierte Bakterienbrutstätte und Unsauberkeit der ganzen Welt!
An diesem meinem Ort verbringe ich wie die Mehrzahl der Menschen in dem ihren mit Abstand die meiste Zeit meines Lebens, mein Bett umfängt mich in allen meinen Zuständen der Lust, des Schmerzes, der Verzweiflung, Freude, Langeweile, es ist Gefährte meiner Liebschaften, meines Triumphs und meines Versagens und schlussendlich - so hoffe ich, ähnlich wie die meisten Menschen - meines Todes. Es ist so eng mit mir verbunden, wie sonst nichts Materielles, in und auf ihm gebäre ich mich wie wir alle so ehrlich und ungeschminkt, wie es mir möglich ist. Jedes beliebige Bett der Welt kann das Bett eines beliebigen Menschen und damit zu dem seinen werden, der Ort, an dem es steht ist wichtig, kann aber wechseln, genauso wie das Bett selbst, das dennoch immerdar das Seine bleibt oder eben wird. So eng mit mir und meinen Gefühlen ist mein Bett verbunden, dass es mir oft lieber als menschliche Gesellschaft ist, nimmt es mich doch fraglos in seine bequeme Umarmung und tröstet mich mit seiner Wärme über viele Unwägbarkeiten des Lebens hinweg. Wenn ich mir die Decke über den Kopf ziehe, ist es nahe an der vergessenen Dunkelheit und Wärme vor meiner Geburt und verspricht mir anstrengungsloses Wohlbefinden wie es doch schon seit jeher mein gutes Recht ist!
Wie grausam ist es, dieses Paradies jeden Morgen viel zu früh zu verlassen! Ist es wirklich die Bestimmung eines jeden Menschen, also zum Beispiel die meine, täglich ungewollt die behagliche Molligkeit des einzigen Ortes, an dem er nichts zerstört oder verbraucht außer Sauerstoff, zu verlassen, um unausgeschlafen in den Wettlauf der Effizienz und der Mehrung des Wachstums zu starten, wobei ja sowieso nichts Gutes herauskommt, wie man tagtäglich beobachten kann? Oder sollte man nicht lieber dem Beispiel des Diogenes folgen, dessen Bett in Form eines Fasses zwar sicher nicht jedermanns Sache ist, der aber schon vor Christi Geburt die Weisheit des Liegenbleibens mit Löffeln gefressen hatte, wie man weiß, und der als leuchtendes Vorbild des Nichtstuns immerhin zu weitreichender Berühmtheit gekommen ist. Und wer weiß, wenn ich liegenbleibe, fällt mir vielleicht etwas ein, denn wo wenn nicht im eigenen Bett hätte ich mehr Muße und Gelegenheit, über Gott und die Welt nachzudenken und vielleicht eine gute Idee zu haben? Wenn man sich überlegt, wie viele Genies wahrscheinlich die unglaublichsten Dinge im Bette liegend ersonnen und erfunden haben, kommt man bald in Versuchung, sich überhaupt nicht mehr zu erheben und in aller Ruhe liegenzubleiben bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, zu irgend etwas wird es schon gut sein.
Aber halt! Hier zeigt sich eine weitere wunderbare Eigenschaft meines Bettes: Zwar liege ich dort gerne, aber bleibe ich zu lange, dann ist auch wieder nicht recht, weswegen ich dann meistens doch irgendwann aufstehe, und sei es auch nur zur Abwechslung. So richtig ausgeschlafen ist es dann auch eine Freude, den Körper in der Vertikalen zu bewegen, bis man des abends wieder glückselig erschöpft in das vertraute Kissen sinkt. Dieses wünschenswerte Verhältnis zu meinem Bett ist leider, leider äußerst selten, des Öfteren bekomme ich es nicht so häufig zu Gesicht, wie ich es mir wünschen würde, was meine Sehnsucht aber keineswegs schmälert,im Gegenteil.
Ich vermute, fühle, weiß, dass meine Mitmenschen diese Gemeinsamkeit, diese Vertrautheit, diese Gewissheit auf einen Zufluchtsort, den die eigene Schlafstätte darstellt, mit mir teilen, unabhängig davon wo oder wer sie sind. Im Slum in Mumbai hat jeder seine elende, aber doch eben seine Schlafstelle, die er liebt und verteidigt wie der Millionär die fünfzehn Schlafzimmer seiner Luxusvilla, in jeder Behausung und überall steht das Mein-Bett. Welch ein schöner Gedanke, der mich über alle politischen oder religiösen Glaubensgräben hinweg mit allen meinen Mitmenschen verbindet, die wir alle unschuldig in unseren Betten schlafen, vereint in Unbewusstheit und geheimen Träumen.
30.01.2013
Wusste ich es doch, dass es irgendwann wieder einen Knoten zu durchschlagen gilt! Wie oben berichtet, sollte mich Balde in einem Sammeltaxi um 10 Uhr abholen und ich deutscher Michel war um neun schon gestiefelt und gespornt, als eine SMS von Balde eintraf. In dieser erklärte er, dass er um halb neun beim Taxibahnhof gewesen sei, aber alle Taxifahrer wären müde gewesen, sodass sich unsere Abfahrt auf 14 Uhr verzögern würde. Aha, na gut, machte ich eben einen Spaziergang durch die Nachbarschaft, um um 13.30 wieder gestiefelt und gespornt zu warten. Um 14.30 rief ich Balde an, der sagte mir, er sei gleich da. So ging das hin und her, bis schließlich um halb fünf das Taxi mit Balde und zwei weiteren Passagieren eintraf. Hätte ich eigentlich wissen müssen, denn auf die Frage, wann der Bus abfährt, gibt es in Afrika nur eine Antwort:
Wenn er voll ist! Nun werden wir bei Dunkelheit in Saint-Louis eintreffen, und erst morgen kann ich die für unseren Aufenthalt wichtigen Leute treffen. Das Merkwürdige an obiger Geschichte ist, dass, als ich einstieg, niemand die Verspätung überhaupt erwähnte, also auch ich nicht.... Jetzt sitzen wir alle entspannt im Taxi und der Fahrer brettert nach Saint-Louis, während er sich mit Wattestäbchen die Ohren säubert, warum auch nicht. Gut, dass ich noch kein Hotel für die Nacht habe, wer weiß, wann wir ankommen und ob überhaupt. A la Bonheur!
25.01.2013
Modern Life
Heute morgen nun sollte ich aufbrechen zu meiner Reise nach Westafrika. Anfang letzten Jahres hatte mich das Goethe-Institut mit einer einmonatigen künstlerischen Residenz in Westafrika - namentlich Senegal, Mali und Mauretanien - bedacht, und ich hatte diese wunderbare Reise mit dem Ziel verknüpft, eine Begegnung des Bundesjazzorchesters mit afrikanischen Musikern zu ermöglichen. Tatsächlich ergaben sich eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die mich und meinen Partner im Deutschen Musikrat, Dominik Seidler, ermutigten, ein derartiges Projekt in Angriff zu nehmen. Ich hatte einige herausragende afrikanische Musiker kennengelernt, sowie Unterstützer beim Goethe-Institut, der Deutschen Botschaft und bei offiziellen und inoffiziellen Stellen der afrikanischen Kultur gefunden. Im Mai nun soll eine mit einem Workshop verbundene Tournee durch Westafrika durchgeführt werden, und meine jetzige Reise dient der Vorbereitung.
Durch die politischen Entwicklungen der letzten Wochen ist es leider unmöglich geworden, mit dem Orchester nach Mali zu reisen - welch ein Jammer! Die Hauptstadt Bamako vibriert vor Musik, das Leben ist nicht einfach, aber bei meinem Aufenthalt in Bamako habe ich neben der mehr als ein Jahrtausend alten Kultur einen aufgeschlossenen und fröhlichen afrikanischen Islam erlebt, da geht kein Gedanke in Richtung Scharia oder Burka. Meine Freunde in Bamako beklagen in Telefonaten den Stillstand des täglichen Lebens, der ihnen von den zumeist staatsfremden Invasoren, die im Norden ihr Regime aufbauen, aufgezwungen wird. Meiner Meinung nach haben sich Al Kaida und ihre Unterorganisationen strategisch ausgesprochen clever in eine Gegend der jahrhundertealten knüppelharten institutionalisierten Nord-Süd-Ausbeutung begeben, um ihre Vision eines Gottesstaates unter einem - wenn auch sehr fadenscheinigen, jedoch mit reichlich Geld islamistischer Ölemporkömmlinge finanzierten - Banner des Abwurfs des Jochs der Unterdrückung in ihre freudlose Ausübung zu überführen, mit Schleier, Händeabhacken und gleichzeitigem Beten, effektiv und schleimig, pfui Teufel!
Ich bin gespannt, wie sich die Situation nach meinem letzen Besuch in Westafrika nun darstellt. Mauretanien will ich wieder besuchen, obwohl nicht klar ist, ob wir mit dem Orchester dorthin reisen können, das werde ich erst nach meinem Aufenthalt wissen. Aber ich möchte die Sängerin Maalouma und ihren Gitarristen Ali Ndao wiedersehen und sie in unser Projekt einbinden. In Saint-Louis im Senegal werde ich unter anderem den Koraspieler Ablaye Sissoko besuchen und in Dakar den Balaphonisten Djiby Diabate. Schlussendlich fliege ich von Dakar nach Guinea-Bissau, wo mein Freund Carlos Robalo uns den Weg bereiten wird, In'ch Allah, so muss man in Westafrika sagen.
Zur Zeit ist mein Freund Heiner Wiberny in Dakar und arbeitet zusammen mit dem Goethe-Institut und afrikanischen Musikern über den Jazz im Dreieck Afrika - Amerika - Europa, sodass er gemeinsam mit den senegalesischen Musikern unter anderem Bebopstücke übt und aufführt, das finde ich gut! Heute Abend ist sein Abschlusskonzert im "Just for You" in Dakar, da wären doch gerne einige von uns dabei, nicht wahr?
So auch ich, aber leider soll mein Flugzeug erst gegen Mitternacht ankommen, so dass ich Heiner und seine Frau Ulla erst am Samstag Abend zu einem Abschiedsessen sehe, so dachte ich.
Denn heute morgen bin ich zwar aufgebrochen zu meiner Reise, diese wurde aber gleich schon am Flughafen Düsseldorf wieder unterbrochen. Entgegen der Versicherung der Hotline (warum glaube ich eigentlich perfekt Deutsch sprechenden Indern in Bangalore, die 8000 km vom Schuss entfernt sitzen? Selber Schuld!) beeinträchtigte der Streik des Sicherheitspersonals den Betrieb des Flughafens dermaßen, dass alle Passagiere "meiner" Maschine an einem privilegierten Platz vor einer Schuhboutique (Boots, die aussehen wie meine Hausschuhe, für 220 Euro; und noch nicht mal mit Fußbett, sagte die Dame neben mir zu ihren beiden Freundinnen) zusammengetrieben wurden, wo man uns fünf Minuten vor geplantem Abflug mitteilte, dass der Pilot die Nase voll hätte und jetzt mit leerer Maschine nach Madrid abheben würde, adios. Naja, ganz so hat man uns das nicht gesagt, obwohl die nette Spanierin vor mir meinte, dass das gestern genauso gewesen wäre und sie jetzt aufgeben und bis Montag in Düsseldorf bleiben würde. Wie wir schließlich wieder an unsere Koffer und dann trotz Notarzteinsatzes an den Gleisen der Bundesbahnstrecke Düsseldorf - Köln wieder an Orte der Vernetzung kamen, will ich meinen Lesern ersparen. Jedenfalls sitze ich jetzt voll für meine Reise gerüstet wieder auf meinem Sofa und denke mir, wer weiß wofür's gut war. Morgen probier ich's wieder, aber dann von Frankfurt.