06.10.2013
Es gibt viele Gründe, Flughäfen nicht zu mögen. Schon die Anlage eins solchen ist heutzutage mit großen Schwierigkeiten verbunden, denn auf die Annehmlichkeiten der schnellen Verbindung will kaum jemand verzichten, aber im Einzugsgebiet eines jeden Flughafens kämpft der Bürger mit Lärm - und Naturschutzargumenten gegen eine solchen in seiner Nähe. Das haben Flughäfen mit Atomkraftwerken, Asylantenheimen, Endlagerstätten und psychiatrischenKliniken gemeinsam; alle diese Einrichtungen und etliche andere mehr sollten eigentlich mindestens einen Kilometer unter der Erdoberfläche liegen, wenns nach dem Wutbürger geht. Ist bei Flughäfen natürlich schwer zu machen. Was mich ungemein ärgert, ist die Tatsache, dass Flughäfen heutzutage in schamlosester Weise den Konsum verherrlichen. Abgesehen von der Unverschämtheit, manche Flughäfen so zu bauen, dass man nur mit einem Hindernislaufen durch die Duty - Free - Zone das Abfluggate erreichen kann, ist die Zurschaustellung vollkommen überflüssigen Luxus' geradezu obszön. Teuerste Parfums und sonstige Cremes, Mode, Zigaretten und Alkoholika stehen vor dem Passagier Spalier und werben auf aufdringlichste Weise um seine mitgebrachten Devisen. Nein, nein, nicht dass man dieses falsch versteht, man nimmt auch Dollar, Euro, libanesische Pfund, wahrscheinlich auch Goldbarren oder Blutdiamanten aus dem Kongo. Hier in Beirut ist die Ansammlung der Boutiquen nicht nur in der Stadt sondern auch am Airport von für mich unbekannter Dichte. Als ganz besonders pervers empfinde ich die Werbung, die die bekannten Models mit kurzen Kleidern, tiefen Ausschnitten, nackten Armen und Beinen und wallender offener Haarpracht präsentiert. Gleich nebenan geht's zum Gebetsraum für Muslime, und mindestens die Hälfte der anwesenden Frauen geht mit Kopftuch und den alles verhüllenden langen Gewändern an dieser Zurschaustellung vorbei. Nur die Bedienung ist nach westlicher Art gekleidet und stolziert mit unendlich gelangweilten Mienen immer wieder ein paar Meter hin und her vor den Waren herum. Je weiter man in Richtung Golf vordringt, umso schizophrener wird dieses Missverhältnis, das schlussendlich nichts anderes zeigt, als die Macht des Geldes über jede noch so heftige Verteidigung irgendwelcher Werte, seine sie christlich oder muslimisch. Wenn ich doch darin nur etwas Positives sehen könnte! Das Totschlagargument der Wirtschaftskraft und der Arbeitsplätze kommt mir schon zu den Ohren heraus, fällt uns wirklich nichts Besseres für ein blühendes Gemeinwesen und ein sinnvolles Leben ein als Konsum bis zum Erbrechen? Gehört eine Rolex, ein Dior-Parfum, ein Porsche zum unverzichtbaren Glück? Mich schaudert bei dem Gedanken, aber vielleicht bin ich nur ein unverbesserlicher Gutmensch, der einen Strandspaziergang einem Duty -Free-Einkauf vorzieht, von Volkswirtschaft keine Ahnung hat und gefälligst schnellstens weitergehen und dem nächsten Konsumenten Platz machen sollte. Wer hat behauptet, dass Geld nicht stinkt? In denn Flughäfen dieser Welt hat es den Geruch Chanel und Lancome, und ich bin jedes Mal froh, wenn ich aus den Tempeln heraustrete aufs Rollfeld, möge dies auch noch so sehr nach Kerosin riechen.....
05.10.2013
Wie immer, wenn ich mit Djiby unterwegs bin, fällt es mir schwer, meine regelmäßigen Blogeinträge durchzuhalten. Das Zusammenleben mit Afrikanern gefällt mir ungemein, es lässt aber vergleichsweise wenig Zeit für das, was wir Europäer als Privatleben bezeichnen. So gut wie alle Aktivitäten im Zusammenleben werden gemeinsam durchgeführt, man ist auch nicht so oft für sich, wie man es gewohnt ist. Ich brauche immer mehrere Tage, bis ich (zum x-ten Mal) bemerke, dass eigentlich ich selbst es bin, der sich (zum Beispiel) am Schreiben hindert. Dann wird es leichter und ich mache das, was meine afrikanischen Freunde auch tun, nämlich sich nicht stören zu lassen von der Anwesenheit anderer und einfach das machen, was gerade anliegt. Ich beobachte also bei mir selbst immer wieder eine Kulturverwirrung, und das, obwohl ich zum Beispiel mit Djiby ja gut befreundet bin und - wie man hier feststellt - mich bemühe, über kulturelle Unterschiede nachzudenken. In Indien ist der Drang zum Zusammensein noch viel stärker als in Afrika; allein zu sein ist dort fast eine Schande, auf jeden Fall ein bedauernswerter Zustand. Ein jeder Inder aber hat die Fähigkeit, seine eigene Privatsphäre um sich herum aufzubauen und kann selbst in einer Menschenmenge im Handumdrehen vollkommen in sich selbst versinken und sich gleichsam an einen persönlichen Ort zurückziehen, an dem er seinen Überlegungen nachgeht. Auch das ist etwas, das ich mir bei Aufenthalten in Indien mühselig angeeignet habe und jedesmal neu erarbeiten muss, wenn ich nach längerer Abwesenheit dorthin zurückkehre. In Afrika beobachte ich dagegen des öfteren, dass Afrikaner, die allein sind, in einen Wartezustand verfallen, in dem sie notfalls tagelang verharren können, ein Verhalten, das der große Afrikakenner Richard Kapuczinsky in seinen Büchern treffend schildert. Sicherlich ist dieses Verhalten der afrikanischen Realität geschuldet, in der es überlebensnotwendig ist, möglichst energiesparend und relativ bewegungslos zu verharren, indem man zum Beispiel - wie man immer wieder beobachten kann - klaglos in größter Hitze auf das zu keiner bestimmten Zeit ankommende Transportmittel wartet, oder eine Dürreperiode übersteht. Jetzt habe ich mich daran gewöhnt, dass ich - zum Beispiel - dies hier gerade schreibe, und ab und zu Djiby hereinkommt, mich etwas fragt oder einfach nur sich hinsetzt und seine Facebook - Seite pflegt, während ich weiterschreibe. In Deutschland würde ich mich verpflichtet fühlen, meine Arbeit zur Seite zu legen, um mich mit dem "Gast" zu beschäftigen, hier ist das nicht nötig und wird nicht als unangenehm empfunden, im Gegenteil. Dies ist ein Aspekt der afrikanischen Gesellschaft, den ich - nach der Eingewöhnungszeit - als angenehm empfinde und den ich als "zivil" bezeichnen möchte. Ein weiteres Beispiel: Durch die orale Kultur fast aller afrikanischen Gesellschaften bedingt, gibt es in vielen Städten und Dörfern Afrikas kaum Straßenschilder. Wenn man also eine Adresse oder überhaupt irgend etwas finden möchte, muss man jemanden fragen, und zwar ständig und unentwegt. Da dies aber jedermann tun muss, unabhängig von Stand oder Besitz, hat sich - zumindest in meinen Augen - eben diese "Zivilität" entwickelt, die es möglich und alltäglich macht, ständig sich anderen gegenüber in eine "Schuld" zu setzen, die als selbstverständlich empfangen und zurückgegeben wird. Natürlich bleiben die enormen materiellen und rechtlichen Unterschiede und Ungerechtigkeiten innerhalb der afrikanischen Gesellschaft bestehen, welche Ursache vieler Probleme in diesem Kontinent sind und sich auf zum Teil grausame Weise zeigen. Und doch empfinde ich es als wunderbar, dass ich auf jeden zugehen kann, ihn ansprechen kann und ganz selbstverständlich mich auf seine Hilfe verlassen kann. Das, leider, ist in meiner Heimat längst nicht alltäglich! Dies habe ich schon des öfteren erlebt, wenn ich beseelt aus Afrika oder Indonesien kam und voll der Erleuchtung mich eines ähnlichen Verhaltens befleißigte. "Wat will der Idiot" war noch eine der harmloseren Reaktionen darauf und hat mich dann schnell wieder auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ich liebe meine Heimat, wohlgemerkt, bin stolz auf die sozialen Errungenschaften, die wir uns erkämpft haben und lasse das im Ausland bei jeder passenden Gelegenheit auch durchklingen. Aber in Punkto zwischenmenschlicher Beziehungen, Freunde, da können wir noch von den Afrikanern und anderen Drittweltbewohnern lernen!
Charlie Mariano war der erste wirkliche Weltmusiker und hat für viele nachfolgende Künstler den Weg gezeigt. Seit den 70er Jahren lebte Charlie in Europa und hat fast die gesamte Jazzszene beeinflusst. Als hervorragender Altsaxophonist war er die direkte Verbindung zu den Ursprüngen des Jazz, hatte mit Charlie Parker, Dizzy Gillespie und Charles Mingus gespielt, war die letzte Instanz, wenn es um Sachen Jazz ging.
16.02.2013
Von Dakar nach Köln oder Kleine Kamele
Es war der erwartet elende Rückflug von Dakar, um 23.15 Uhr ging die Maschine nach Madrid. Um kurz nach vier dort angekommen musste ich knapp fünf Stunden auf den Weiterflug nach Düsseldorf warten. Wie auf allen modernen Flughäfen haben auch in Madrid sadistische Innenarchitekten die Stuhlreihen so mit Lehnen versehen, dass man auf keinen Fall darauf liegen kann; stellen die sich vor, dass der Flughafen nachts von Pennern infiltriert wird, die Augen und Geruchssinn der morgendlichen Konzernkrieger belästigen könnten? Unter Aufbietung akrobatischer (Hallo?) Fähigkeiten gelang es mir, mit schmerzenden Lenden und Knochen, die sich um die metallenen Folterinstrumente falteten, eine halbe Stunde zu dösen. Dann resignierte ich und wanderte die das Oberlicht spiegelnden blankgeputzten Fliesen entlang, bis mir schwindlig wurde, im Ernst. Gut, dass endlich ein Café aufmachte, und gut, dass ich die spanische Art mag, die mich mich gleich innerlich aufrichten lässt, wenn ich nur höre, wie der lässige Caballero hinter der Theke mich mit :"Que quieres tomar?" nach meinen Wünschen fragt. Endlich saß ich in dem mit Fußballfans (Real Madrid gegen United Manchester am Vorabend!) vollgestopften Flieger nach Düsseldorf. Die Fans waren genauso erledigt wie ich, und gemeinsam verbrachten wir zwei weitere miserable Stunden in dem für Zwerge gebauten Apparat. Am Flughafen wartete der gute Heiner Wiberny mit Hut und Mantel für mich, Heiner war gerade vor mir in Dakar und weiß über das bittere Schicksal des nachts von Afrika Zurückfliegenden.
Genug davon, umso schöner war mein Bett, das ich allerdings erst nach Beantwortung der jetzt ständig auflaufenden Emails aus Afrika zu sehen bekam. Seit heute morgen geht das weiter, ich bin in Köln und Afrika zugleich, erst ein Treffen mit den Kollegen vom Globalmusicorchestra, Walter Pütz und Ralf Plaschke, die CD von Djiby Diabate und mir ist fertig!, sie heißt "Saint-Louis Blooze", beim nächsten Mal mehr davon. Dann kam Dominik Seidler vom Deutschen Musikrat, der dort für das BuJazzO zuständig ist. Dominik ist ein verlässlicher und enthusiastischer Partner, der es ertrug und möglich machte, dass ich meine in meinem Kopf gespeicherten Informationen durch ihn und seine Tastatur hindurch in vierstündiger, intensiver und pausenloser Prozedur auf seine Excel-Tabellen übertragen konnte, die wiederum erst unsere Reise möglich machen....ich musste die Zahlen und Daten unbedingt loswerden, um Platz für die Musik zu schaffen, die jetzt aber auch unbedingt rausgelassen werden will und schon heftig drängelt. Tja; so dachte ich jedenfalls, und liege nun hier um drei Uhr morgens, es rattern Afrika und Ziffern, Möglichkeiten und Probleme, und vor allem Erinnerungen an Menschen und Augenblicke der letzten drei Wochen in mir herum. Was soll's, ich schick das hier jetzt ab und dann zähl ich halt Schäfchen. Oder Zicklein. Oder vielleicht besser kleine Kamele.